Grußadresse von Papst Benedikt XVI.

"Das Angesicht Gottes sichtbarer machen"

er 96. Deutsche Katholikentag hat am Mittwochabend in Saarbrücken begonnen. In einer Grußbotschaft forderte Papst Benedikt XVI. die Katholiken auf, an einer gerechten Gestaltung der Welt mitzuwirken. Die Katholiken müssten in ihrem gesellschaftlichen Engagement "als Christen kenntlich bleiben und alles vermeiden, was die Klarheit des christlichen Zeugnisses verdunkelt", heißt es in der Botschaft des Papstes.

 (DR)

er 96. Deutsche Katholikentag hat am Mittwochabend in Saarbrücken begonnen. In einer Grußbotschaft forderte Papst Benedikt XVI. die Katholiken auf, an einer gerechten Gestaltung der Welt mitzuwirken. Die Katholiken müssten in ihrem gesellschaftlichen Engagement "als Christen kenntlich bleiben und alles vermeiden, was die Klarheit des christlichen Zeugnisses verdunkelt", heißt es in der Botschaft des Papstes. Das Zeugnis der Kirche sei nur glaubwürdig, wenn das Zeugnis der Laien in Einheit mit dem Papst und den Bischöfen erfolge. Das Grußwort wurde vom Apostolischen Nuntius in Deutschland, Erzbischof Erwin Josef Ender, verlesen.


Der Text der Botschaft:

Meinem verehrten Bruder Bischof Reinhard Marx, Bischof von Trier, den Bischöfen,
Priestern, Diakonen und allen Katholikentagsteilnehmern in Saarbrücken!
Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

„Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht" - unter diesem Motto haben sich viele katholische Christen und zahlreiche Gäste aus anderen Konfessionen sowie aus Politik und Gesellschaft zum 96. Deutschen Katholikentag in Saarbrücken versammelt. Aus Rom grüße ich alle, die sich zur Eröffnungsveranstaltung auf dem Schlossplatz eingefunden haben! Mein Gruß gilt auch allen Menschen, die über Radio und Fernsehen an dieser Veranstaltung teilnehmen. Der Friede unseres Herrn Jesus Christus sei mit Euch allen! Einen besonderen Gruß richte
ich an den Bischof von Trier, die anwesenden Kardinäle und Bischöfe sowie an das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, das gemeinsam mit dem Bistum Trier Gastgeber dieses Katholikentags ist.
Liebe Brüder und Schwestern, mir scheint, dass heute ein neues Interesse am christlichen Glauben feststellbar ist. Menschen fragen nach der Geschichte des Christentums und nach seiner Lehre. Vor allem aber ist das lebendige Bekenntnis der Christen selbst gefragt! Solche leisen und lauten Fragen suchen nicht bloß Antworten, sondern Antwortgeber, Männer und Frauen, deren Bekenntnis und Leben selbst die Antwort auf die Fragen ist; sie suchen also Euch, die Ihr jetzt auf dem Schlossplatz in Saarbrücken versammelt seid und die Ihr in den kommenden Tagen am 96. Deutschen Katholikentag teilnehmt. Informiert Euch, sprecht und feiert miteinander, vor allem aber vertieft Euren Glauben, reinigt Euer Herz, fasst Mut zum Bekenntnis, öffnet Eure Hände. Beim XX. Weltjugendtag in Köln hat die Welt die ansteckende lebendige Freude hunderttausender junger Christen aus so vielen Ländern der Erde erleben können. Glaube, Hoffnung und Liebe dieser jungen Menschen waren wirklich ein Zeugnis für unseren Herrn Jesus Christus! Damit jeder von uns ein glaubwürdiger Zeuge ist, müssen wir uns reinigen. Bemüht Euch also um die Überwindung der Schranken, die einem geeinten und lebendigen Zeugnis für Christus und Seine Kirche entgegenstehen. „Ich ermahne euch aber, Brüder, im Namen Jesu Christi, unseres Herrn: Seid alle einmütig und duldet keine Spaltungen unter euch; seid ganz eines Sinnes und einer Meinung" (2 Kor 1,10). Diese Worte des Apostels Paulus an die Gemeinde von Korinth rufe ich auch Euch zu. Das Zeugnis der Kirche ist nur glaubwürdig, wenn das Zeugnis der Laien in Einheit mit dem Papst und den Bischöfen erfolgt. Das schließt vom Geist bewegte lebendige Vielfalt ein, die aber nur dann wahrhaft lebendig bleibt, wenn sie nicht in Beliebigkeit zerrinnt. Nach innen wie nach außen muss deutlich werden: Die Kirche ist ein gestalteter Ort der Wirklichkeit und Gegenwart Gottes unter den Menschen.

Ihr versammelt Euch heute in Saarbrücken, der Hauptstadt des Saarlandes, das im 20. Jahrhundert Opfer von Streit und Zwietracht zwischen den Völkern war. Wir danken Gott, dass in unseren Tagen die Versöhnung unter den Völkern und die Einigung Europas das Handeln vieler politisch Verantwortlicher bestimmt. Ihr versammelt Euch zugleich in einem der ältesten Bistümer Deutschlands, das Euch an das Vermächtnis des christlichen Glaubens erinnert, der mit seiner Kraft Europa gestaltet hat. In Trier ist der heilige Ambrosius von Mailand geboren, der zunächst Staatsmann war und dann - widerstrebend - zum Bischof gewählt wurde. Er, der von innen her um die Eigenart der Politik seiner Zeit wusste, betonte wie kaum ein anderer die Freiheit der Kirche und die Bindung des Staates an moralische Prinzipien. Für ihn war die Gerechtigkeit keineswegs eine rein profane Angelegenheit: „Das Fundament der Gerechtigkeit ist der Glaube" (Ambrosius von Mailand, Über die Pflichten, Nr. 142). So ist für uns Christen der Anruf, der im Motto „Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht" steht, zunächst einmal ein Anruf an uns selbst. Zugleich aber ist „Gerechtigkeit … die große Ordnerin des  menschlichen Gemeinschaftslebens", wie Kardinal Höffner, der bedeutende deutsche Vertreter der katholischen Soziallehre, betont hat. Christen sind angesichts der schwerwiegenden sozialen Probleme in den einzelnen Ländern und weltweit durch die Liebe Christi gedrängt, dazu beizutragen, dass die Welt gerecht vor Gottes Angesicht wird. Dabei kommt den christlichen Laien mit ihren spezifischen Begabungen und ihrer Sachkenntnis eine besondere Aufgabe zu. Freilich werden Christen hier nur dann einen wirksamen Beitrag leisten, wenn sie dabei als Christen kenntlich bleiben und alles vermeiden, was die Klarheit des christlichen Zeugnisses verdunkelt. Wenn ich in meiner ersten Enzyklika darauf hingewiesen habe, dass „Gott den Menschen so liebt, dass er selbst Mensch wird, ihm nachgeht bis in den Tod hinein und auf diese Weise Gerechtigkeit und Liebe versöhnt" (Enzyklika Deus caritas est, Nr. 10), so betrifft das auch die Gesellschaft. „Gerechtigkeit und Liebe schließen einander nicht aus, sondern sichern erst in ihrer Verbundenheit den Bestand und die Entfaltung der menschlichen Gesellschaft (Joseph Kardinal Höffner). So sind wir Christen gewiss, dass „der Mensch über die
Gerechtigkeit hinaus immer Liebe braucht und brauchen wird" (Enzyklika Deus caritas est, Nr. 29). Die „Zivilisation der Liebe" muss sich heute vor allem gegen eine „Kultur des Todes" behaupten. Sie begegnet uns in den verschiedenen Formen der Entwürdigung des Menschen durch biomedizinische Instrumentalisierung vom Zeitpunkt der Entstehung des Lebens an, sie begegnet uns in der zunehmenden Gleichgültigkeit gegenüber Abtreibungen, in der Verletzung der Würde der Frau und der Kinder; sie begegnet uns in der Kaltherzigkeit gegenüber dem schreienden Unrecht der Armut im eigenen Land und in vielen Regionen der Welt. Papst Johannes Paul II. sprach in seiner ersten Enzyklika Redemptor hominis von „dieser schweren moralischen Unordnung auf Weltebene, die darum kühne und schöpferische Entscheidungen nötig macht" (Nr. 16). In all diesen Feldern sind vor allem die Laien aufgefordert, die christliche Botschaft wirksam und hörbar zu machen. Ich freue mich, dass Ihr auch dazu auf dem Katholikentag beitragen wollt. Vor allem wünsche ich Euch, dass es Euch gelingen möge, das Angesicht Gottes, das ein Angesicht der Liebe ist, den Menschen sichtbarer zu machen. Dazu erteile ich Euch allen, die Ihr in Saarbrücken versammelt seid, von Herzen den Apostolischen Segen.
Benedictus PP XVI.