Wer war Johannes Paul II?

Bilanz

 (DR)

Johannes Paul II. ist verstorben, ein neuer Papst wird in Kürze gewählt. ARTE zieht eine Bilanz des letzten Pontifikats und spricht über die Person von Johannes Paul II. mit Patrick Oetterer, Theologe und Redakteur beim Kölner Hörfunksender "Domradio".
Das Interview mit Patrick Oetterer zum Anhören
Herr Oetterer, so viel Aufmerksamkeit hat bislang wohl noch kein Papst auf sich lenken können. Papst Johannes Paul II. wurde nicht von allen Menschen verehrt, aber sein außergewöhnliches Charisma ist unbestritten, das bestätigen auch seine schärfsten Kritiker. Was hat seine Persönlichkeit ausgemacht?
Ich glaube, dass er einerseits eine Person war, die um ihre Medienwirksamkeit wusste, aber seine Persönlichkeit beruht wohl auch darauf, dass alle, die ihn kannten, ihn als "Mystiker" bezeichnen würden, also als einen, der aus einer ganz tiefen, engen Christus- und Gotteserfahrung heraus lebt und diese Erfahrung sein ganzes Leben durchwirken lässt, so dass diejenigen, die ihm begegnet sind, selbst aus der Fernwirkung heraus, bestätigen, dass sie es hier mit einer unvergleichlichen und einzigartigen Persönlichkeit zu tun haben.
Fast alle Medien auf der ganzen Welt berichteten vom Ableben des Papstes. Johannes Paul II. war ein „Medienstar", aber er hat die Medien während seines Pontifikats auch ganz gezielt für sich genutzt. Entspricht das dem Amt eines Papstes von heute?
Ich glaube, es entspricht grundsätzlich der Verantwortung, die jeder Papst hat: nämlich Zeuge der Kirche, des Glaubens und Jesu Christi zu sein. Wenn Sie sagen „heute" - ja, dann würde ich sagen: Die Kirche hat sich immer zu verheutigen, und dazu gehört ganz wesentlich die Präsenz und der selbstverständliche Umgang mit den Medien. Dieser Papst ist ganz sicher jemand, der diesen Einsatz kannte, der ihn auch genutzt hat, auch zum Teil im guten Sinne gelenkt hat - mit seinem Engagement zum Beispiel gegen Ungerechtigkeit, für die leidenden Menschen, für die Würde der Frau, für die Kinder. Überall da hat er ganz gezielt die Finger in die Wunde gelegt und hat die Medien drauf aufmerksam gemacht.
Viele Jugendliche fühlten sich dem Papst sehr nahe, trauern nun um seinen Tod. Für viele war er der Jugendpapst schlechthin. Was hat Johannes Paul II. konkret für die Jugend getan?
Getan hat er zuerst mal nur, auf dieser tiefen Ebene, dass er sich ganz von Christus in den Dienst hat nehmen lassen. Ich glaube, er war von daher den Kindern einfach nahe, und zwar deshalb, weil er selbst eine gewisse Kindlichkeit hatte. Bei aller Intellektualität war er immer offen für Ansprache und Spontaneität. Darüber hinaus hat er sich wirklich Sorgen gemacht um den miserablen Zustand von Familie, von Kindern, aber auch von alten Menschen. Er hat sich um all die gekümmert, die nicht naturgegeben auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Und dazu gehörten wesentlich die Kinder.
Papst Johannes Paul II. hat den Weltjugendtag eingeführt. War das eine ungewöhnliche Einrichtung für einen Papst?
Ungewöhnlich in dem Sinne, dass man es vorher nicht gewohnt war, dass Päpste so etwas tun. Nicht so ungewöhnlich, wenn man ins Neue Testament schaut, wie Jesus Christus selbst mit Kindern umgegangen ist. Da sagt er ja: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder. Und ungewöhnlich war dann konkret 1984 so ein
Schritt. Ermutigt hat ihn dazu vermutlich, dass er gemerkt hat, wie sehr er einerseits Hoffnung, Mut machen kann, aber wie sehr die Jugendlichen andererseits auch auf ihn ansprangen, sein Charisma empfunden haben und ihn frenetisch wie einen Popstar gefeiert haben. Nichtsdestotrotz hat er auch ganz unbequeme Botschaften den Jugendlichen ins Stammbuch geschrieben; ich denke da an die strenge Morallehre, die ja auch nicht so leicht umzusetzen ist und die ja auch von vielen nicht verstanden wird.
Auch der Charakter des Papstes gibt Rätsei auf: Er wird zum einen als ganz bescheidener, einfacher Mensch beschrieben, hatte aber andererseits anscheinend keine Selbstzweifel, denn er hat während seines Pontifikats nochmals die Unfehlbarkeit seiner Person betont und seine Meinungen und Forderungen immer ganz konsequent vertreten. Wie lässt sich dieses Paradox erklären?
Unfehlbarkeit heißt ja nicht, dass Papst Johannes Paul II. als Mensch unfehlbar ist. Da ist er Mensch wie jeder von uns auch. Die Unfehlbarkeit bezieht sich auf die Wahrnehmung seines Amtes in Glaubens- und Sittenfragen. Da beansprucht dieser Papst, wie eben auch die Päpste vor ihm, dass er in Übereinstimmung mit dem Glauben der Kirche über Jahrhunderte hinweg zu doch wahrheitsgemäßen Aussagen kommt, die zeitlos gültig sind und alle Menschen betreffen. Wenn einer so sehr in diesen Bereichen zu Hause ist und steht, dann befreit ihn das auf der anderen Seite zu einer unglaublichen Freiheit und Natürlichkeit und zu einer Persönlichkeit, die auch offen ist für andere Religionen, für alle Fragen und Probleme, für alles, was den Menschen betrifft.
Johannes Paul II. war ein sehr politischer Papst; er hat sich bisweilen ungefragt in die Weltpolitik eingemischt. Unvergessen ist seine scharfe Kritik an George Bush's Irakpolitik. Hat der Papst sein Amt im Gegensatz zu seinen direkten Vorgängern erweitert und seine Machtbefugnisse in ähnlicher Weise genutzt wie die ganz frühen Päpste?
Jemand, der glaubt wie dieser Papst und kämpft und ringt um die Bewahrung der Würde des Menschen, der läuft zwangsläufig auch ins politische Feld hinein. Mystik und Politik schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich. Der Irakkrieg ist sicherlich ein gutes Beispiel, wo ganz offensichtlich war, dass die Gründe für diesen Krieg vorgeschobene waren. Er hat erkannt, dass hier eine große Ungerechtigkeit einzieht, vor allem weil überhaupt nichts erreicht wird mit einem Krieg. Er hat gehandelt, weil die Würde des einzelnen Menschen und die Selbstbestimmung einer Nation hier aufs tiefste verletzt werden und nur neue Ungerechtigkeiten und größeres Elend entstehen würden. Eine andere Seite der Politik ist natürlich der Mauerfall. Auch hier hat der Papst die politischen Grenzen herausgeschoben, wenn es denn um der Würde des Menschen Willen und aufgrund der Würde von Nationen sein muss aus seiner Sicht. Dann war er sehr politisch und unbequem.
Welche Rolle spielten während des letzten Pontifikats die Berater und die Umgebung des Papstes? Haben sie ihn beeinflusst und gelenkt?
Mir scheint, dieser Papst konnte nicht gelenkt werden. Er war eine sehr eigenständige, manche sagen auch dickköpfige Person mit einer unglaublichen Durchsetzungsfähigkeit. Ich denke nur daran, wie er den Dialog der Religionen in Assisi betrieben hat. Da gab es sicherlich auch im Vatikan große Widerstände. Diese Ziele hat er geradlinig mit großer visionärer Kraft verfolgt, hat viel erreicht, hat manches nicht erreicht. Einflüsterungen ist er, glaube ich, nicht erlegen. Ich vermute, die hat es auch bis in die letzten Tage seines Lebens hinein wenig gegeben. Jedenfalls war er nicht jemand, der zu beeinflussen war.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Katja Dünnebacke