Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln

Hirtenbrief nach dem XX. Weltjugendtag 2005

 (DR)

Liebe Schwestern und Brüder in Christus, dem Herrn!
„Wir haben seine Herrlichkeit gesehen“ (Joh 1,14), so endet der Prolog des Johannesevangeliums. Das können
wir auch als Resümee unter den Weltjugendtag schreiben. Alle Seiten bestätigen uns, dass nicht die organisatorischen
Leistungen das Hervorstechende dieser gesegneten Tage waren, sondern die geistliche und gläubige
Tiefe der Begegnungen der Menschen mit Gott und untereinander. Wir sollten uns hier als gastgebende
Erzdiözese an das Wort des Psalmisten erinnern: „Seele vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“ (Ps 103,2).
Von so vielen Bischöfen, Priestern und gläubigen Menschen aus aller Welt erhalte ich Dankesbriefe für das
geistliche Ereignis Weltjugendtag 2005 in Köln. Gerne gebe ich den Dank weiter an Sie alle, die durch Ihr
Gebet, Ihre Gastfreundschaft, Ihre speziellen Dienste und durch Ihr Wohlwollen an diesem gemeinsamen
Werk mit beteiligt waren. Vor diesem Hintergrund haben wir alle gemeinsam eine große Konzelebration erlebt,
die uns reich und ein wenig glücklich macht.
Als gastgebende Diözese sind wir die am meisten Beschenkten! Welch tiefen und froh machenden Glauben
haben uns junge Christen aus aller Welt vorgelebt und unsere Städte gleichsam dynamisiert. Die Teilnehmerinnen
und Teilnehmer aus den ärmsten Ländern hatten uns die reichsten Glaubenserfahrungen mitgebracht.
Wir dürfen uns über unsere Jugend freuen. Manche wollen gar nicht wahrhaben, dass die jungen Menschen
wieder von einem echt christlichen Format gekennzeichnet sind, wie eine Tageszeitung in einer ihrer Schlagzeilen
zum Weltjugendtag schreibt: „Die Mädchen auf dem Weltjugendtag sehen atemberaubend aus. Sie
wirken wie befreit von der allgemeinen Pornografisierung. Sie sind unter das schützende Dach der Kirche
geflüchtet.“ Dürfen wir nicht auf unsere Kirche stolz sein, die trotz aller sexuellen Revolution das Bild vom
reinen Menschen bewahrt und gerettet hat, sodass sie anziehend geblieben ist für junge Menschen aus aller
Welt?
Besonders beglückend ist für mich, von den vielen Herbergsgebern zu hören, wie viele gute Kontakte und
Freundschaften sich zwischen jungen Christen aus aller Welt und den gastgebenden Familien entwickelt
haben. Pannen bei der Versorgung der Pilger, Verzögerungen bei der Abreise vom Marienfeld und andere
unvermeidliche Belastungen wurden durch herzliche und großzügige Gastfreundschaft ausgeglichen. Ich bin
ganz stolz auf die Rheinländer, die den Weltjugendtag zu ihrem eigenen Anliegen gemacht haben und dort
nicht fehlten, wo Hilfe, Ermutigung und Begleitung nötig waren. Ich sage allen ganz herzlichen Dank! Mein
Dank gilt auch den evangelischen und orthodoxen Gemeinden für ihre Hilfe, den Städten und Gemeinden
und ihren Einrichtungen und Betrieben, den Hilfswerken und allen Bürgerinnen und Bürgern, die uns bei der
Durchführung dieses Weltjugendtags in oft so großartiger Weise geholfen haben.
Auch die vielen Freiwilligen, die Langzeitfreiwilligen und die Kurzzeitfreiwilligen, haben dazu beigetragen,
dass der Weltjugendtag überhaupt durchgeführt werden konnte. Unsere Kernteams in den Gemeinden waren
ebenso unverzichtbar, und ich rechne auch weiter auf diese zuverlässigen Jugendlichen, die nun ihren Ertrag
des Weltjugendtages hineintragen in unsere Gemeinschaften, Familien- und Freundeskreise.
Der Weltjugendtag ist mit der Abreise des Papstes nicht zu Ende gegangen. Vielmehr müssen wir sagen:
„Jetzt geht es erst richtig los“, indem wir aus diesem Riesengeschenk Konsequenzen für den Alltag ziehen.
Was bei den Katechesen, die das Rückgrat des Weltjugendtages bildeten, durchgängig zu Tage trat, war
eine große Sehnsucht nach Gott, die sich aber oft kaum artikulieren konnte, weil es vielen Jugendlichen einfach
an Glaubenswissen und damit auch an sprachlichen Ausdrucksfähigkeiten fehlt. Ich halte es für ein
Geschenk der göttlichen Vorsehung, dass unmittelbar vor dem Weltjugendtag das Kompendium des Katechismus
der katholischen Kirche erschienen ist. Es ist gleichsam das letzte Geschenk des großen Papstes Johannes
Paul II. an den von ihm noch einberufenen XX. Weltjugendtag in Köln. In diesem Kompendium ist der
Weltkatechismus praktikabel aufbereitet in einem Schema von Fragen und Antworten, sodass ein leichterer
Zugang zum Mysterium des Glaubens gegeben ist. Ich bitte alle Priester, Diakone, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
im pastoralen Dienst der Kirche, alle Ehrenamtlichen, alle Pfarrgemeinderäte und alle Eltern, dieses
Katechismuskompendium zu erwerben und dann für die nächsten Jahre Kapitel für Kapitel durchzuarbeiten.
Ganz besonders die Firmvorbereitung sollte auf den entsprechenden Kapiteln des Kompendiums basieren. In
einer multireligiösen Umwelt haben die Menschen nur die Chance, die befreiende Botschaft des Evangeliums
zu hören, wenn wir Christen auskunftsfähig sind, wenn wir unseren Glauben kennen, der ja nicht Gefühl,
Ahnung, Meinung oder irgendeine geistliche Verschwommenheit ist, sondern eine inhaltsreiche Botschaft.
„Eine lebendige Katechese“ könnte ein wichtiges Ergebnis des Weltjugendtages 2005 in Köln sein.
Das Motto des Weltjugendtages "Wir sind gekommen, um Ihn anzubeten" hat in der eucharistischen Anbetung
sein beeindruckendes Echo gefunden. In vielen geistlichen Zentren von Köln, Düsseldorf und Bonn
war Tag und Nacht Gelegenheit zur eucharistischen Anbetung, die von Zigtausenden genutzt wurde. Auch
hatten wir erstmalig bei einem Weltjugendtag in der Vigilfeier eine eucharistische Prozession mit eucharistischer
Anbetung erlebt. Viele hatten davon abgeraten, weil sie meinten, eine so große Millionengemeinde
würde nicht die innere Ruhe aufbringen, um dem Herrn im Sakrament zu begegnen. Genau das Gegenteil
war der Fall. Die tiefe Stille, die über dem Marienfeld lag, als die Monstranz auf dem Altar stand und der
Heilige Vater vor ihr betete, wird mir unvergesslich bleiben. Übrigens sagte mir der Heilige Vater, dass für ihn
diese Minuten anbetenden Schweigens vor der Monstranz das tiefste Erlebnis beim Weltjugendtag war. Ein
junges Mädchen erzählte mir, sie habe sich inmitten der Millionengemeinde auf den Knien vor dem Herrn im
Sakrament ganz persönlich angesprochen gefühlt. Ebenfalls war bei der Eucharistiefeier am Sonntag das
Hochgebet der heiligen Messe von anbetendem Schweigen begleitet. Gerade in diesem Augenblick konnte
man die geistliche Dichte dieses großen Gottesdienstes erspüren.
Weithin unbemerkt von den Medien bot der Weltjugendtag einen weiteren geistlichen Akzent von beeindruckender
Intensität in der Spendung des Bußsakramentes. Bewegt berichteten mir viele Priester von den
langen Schlangen vor den Beichtstühlen. Sogar noch auf dem Marienfeld wurde bis tief in die Nacht hinein
gebeichtet. Ein Journalist berichtete angesichts vieler auf die Beichte wartender Jugendlicher: "Ich wurde
richtig neidisch auf diese Jugendliche und sagte mir: Das möchtest du auch können, einmal dir alles von der
Seele reden und dabei wissen, Gott nimmt alles weg, was Schuld und Sünde ist." Ich wünsche uns allen solche
Erfahrungen. Entdecken wir das große Geschenk des Bußsakramentes neu, in dem uns Gott mit seiner
versöhnenden Barmherzigkeit begegnet.
Ebenfalls zum ersten Mal bei einem Weltjugendtag gab es in St. Pantaleon ein Zentrum für Priesteramtskandidaten
aus aller Welt. Dort fand am Freitag eine Begegnung des Heiligen Vaters mit etwa 5000 angemeldeten
Seminaristen statt, bei der ein Theologiestudent aus unserer Erzdiözese, ein Pfarrer aus Kasachstan
und der Erzbischof von Quebec in Kanada Zeugnis von ihrem inneren Berufungsweg ablegten. Darauf antwortete
der Papst in einer sehr bewegenden Homilie über das Priestertum. Junge Menschen des Weltjugendtages
wollen nun ihren Altersgenossen in den Priesterseminaren in aller Welt Briefe schreiben, in denen sie
die Seminaristen bitten, sich gut durch Studium und Gebet auf das Priestertum vorzubereiten, denn sie werden
eines Tages die Katecheten ihrer Kinder und die Priester sein, bei denen sie beichten werden. Als Ermutigung
wollen sie ihnen die drei Zeugnisse und die Predigt des Papstes zuschicken. Bei dieser Gelegenheit ist
mir auch klar geworden, dass beim nächsten Weltjugendtag in Sydney ein solches Zentrum auch für ernstlich
Verliebte und Verlobte eingerichtet werden sollte, um jungen Menschen Begleitung auf ihrem Weg zur Ehe
und Familie zu geben. Das Bedürfnis und die Sehnsucht, eine gute Ehe führen zu können und einmal eine
gesegnete Familie haben zu dürfen, sind so groß, dass wir junge Menschen darin nicht allein lassen dürfen.
Hier stellt uns der Weltjugendtag Aufgaben vor Augen, die aller Mühe wert sind.
Ich darf noch einmal zusammenfassen, was uns der Weltjugendtag für die nächste Zeit mit auf den Weg
gibt: Die Aneignung eines soliden Glaubenswissens, die Wiederentdeckung des Bußsakramentes, die Sorge
um eine Atmosphäre in unseren Gemeinden, die geistliche Berufungen ermöglicht, das Erschließen von Vorbereitungswegen
für junge Menschen auf Ehe und Familie hin und die weitere Pflege der Gastfreundschaft.
Liebe Schwestern, liebe Brüder, in aller Demut dürfen wir sagen: Unserer Generation im Erzbistum Köln ist
mit dem Weltjugendtag ein Ereignis geschenkt worden, das seinesgleichen in der fast 2000-jährigen Geschichte
unseres Erzbistums vergeblich sucht. Wir durften Zeuginnen und Zeugen sein, dass buchstäblich die
Welt zu den ersten Christuspilgern, den Heiligen Drei Königen, gepilgert ist, um IHN anzubeten, der unser
Herr und Gott ist. Es wäre eine große Gnade, wenn jede und jeder am je eigenen Platz die positiven Erfahrungen
weiter vertiefen könnte, die ihm in diesen Tagen geschenkt wurden. Dann wird Köln 2005 zu einem
geistlichen Ereignis auch für 2010, 2020, ja bis zum Ende der Tage. Das wünsche ich von ganzem Herzen.
Dazu segne euch der allmächtige Gott: der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.
Euer
+ Joachim Kardinal Meisner