Den Mahnbrief an die deutschen Kardinäle hat der Erzbischof von Köln, Joachim Meisner, entworfen

Ghostwriter des Papstes

 (DR)

Der Erzbischof musste den Brief nicht lesen, den ihm der Papst mit der Anrede „Lieber Joachim" geschickt hatte. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner wusste bereits, was drinstand. Er hat ihn - so erfuhr FOCUS aus dem Vatikan - selbst entworfen.
Das Mahnschreiben aus Rom, so orakelte vergangene Woche bereits die FAZ, stamme nicht aus der Feder des Heiligen Vaters. Die „vergleichsweise geschliffene Sprache" lasse vermuten, dass der Text nicht übersetzt worden sei, sondern von einem Muttersprachler stamme.
„Das ist ein Brief des Papstes. Er hat ihn unterschrieben", dementiert Carsten Hom, ein Sprecher Kardinal Meisners, nicht sehr überzeugend. Der Kölner Erzbischof ist überdies der Einzige, der sich über den „ blauen Brief" freuen kann. Er sei ein „Vermächtnis des Papstes an die Kirche in Deutschland", ließ Meisner über sein Domradio verbreiten. Die Katholiken sollten die Botschaft  „sehr ernst nehmen". Der Papst habe offenbar den Eindruck, dass der organisatorischen Stärke der deutschen Kirche die Glaubensstärke nicht entspreche.
Das Schreiben an die neun deutschen Kardinäle kritisiert „Missbräuche im deutschen Katholizismus". Es gebe „weiterhin Vorfälle", die „nicht mit den lehrmäßigen Vorgaben der Kirche übereinstimmen". Der Verfasser geißelt unter anderem freiheitliches Denken an den theologischen Fakultäten, staatliche Familienpolitik, Verwendung künstlicher Verhütungsmittel, Amtsanmaßung von Laien sowie Übertreibungen in Sachen Ökumene. Es sind Lieblingsthemen Meisners.
Die päpstliche Epistel wollen die acht anderen Empfänger nicht kommentieren. Den abgekanzelten Kardinälen riet der Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff: „Lasst Euch die Freude (über die Ernennung/die Red.) nicht verderben." Im Papstbrief werde „nicht dem Heiligen Geist vertraut, sondern nur dem alten römischen Ordnungsgeist",
kritisierte der evangelische Konfessions-kundler Reinhard Frieling.
Was hinter dem römischen Nachschlag auf die Erhebung der vier neuen deutschen Kardinäle steckt - der Brief datiert vom 22. Februar, dem Tag nach dem feierlichen Kardinalskonsistorium in Rom -, formuliert der Tübinger Pastoraltheologe Norbert Greinacher: „Es ist eine Rache der Ultrakonservativen für die Kardinalserhebung von Karl Lehmann."
Nicht nur progressive Theologen wie Greinacher vermuten, mit dem Dekret soEe der mit Lehmanns Aufwertung verbundene Aufwind für die Reformer gestoppt werden.
Ein weiterer ausgewiesener Gegner Lehmanns habe Meisner unterstützt, heißt es aus der Kurie. Kardinal Ratzinger, Hardliner und machtbewusster Chef der vatikanischen Glaubenskongregation, soll den Entwurf Meisners gegengelesen und ihn anschließend dem Papst zur Unterzeichnung vorgelegt haben.
Claudia Jacobs/Hanspeter Oschwald