2. Weihnachtsfeiertag

BWV 40: Darzu ist erschienen der Sohn Gottes

„Darzu ist erschienen der Sohn Gottes“: So hat Johann Sebastian Bach seine Kantate für den heutigen 2. Weihnachtstag überschrieben. Und im Vergleich mit anderen Kantaten nimmt Bach in seiner heutigen wenig Bezug auf die Lesungen des Gottesdienstes.

 (DR)

Denn da hören wir heute von dem Märtyrertod des Stephanus. Die Kernaussage der Kantate ist hingegen die zentrale Botschaft des Weihnachtsfestes:  Jesus ist erscheinen und hat die durch Adam in die Welt gekommene Sünde zerstört. Der erste Satz der Kantate ist zugleich der eindrucksvollste und feierlichste der ganzen Kantate. Unüberhörbar: Der signalhaft kämpferische Hornruf: Passend zum Text, in dem ja in Anknüpfung an den 1. Johannesbrief davon die Rede, dass der Sohn Gottes erschienen ist, um die Werke des Teufels zu zerstören. Auch im zweiten Satz, dem Rezitativ des Tenors, eine deutliche Anlehnung an eine ganz bekannte Bibelstelle, nämlich an das 1. Kapitel des Evangelisten Johannes: „Das Wort ward Fleisch und wohnet in der Welt“. Der Hinweis also auf das Wunder der Menschwerdung Gottes, das Wunder von Weihnachten. Der dritte Satz ist die 3. Strophe des Liedes „Wir Christenleut“ von Kaspar Füger, einem Textdichter des 16. Jahrhunderts. Inhaltlich wird das Hauptthema der Kantate neu aufgegriffen: Christus, als der Besieger der Sünde. Musikalisch deutlich gemacht durch die Harmonisierung dieses vierstimmigen Choralsatzes mit vielen Halbtonschritten. Diese Chromatik ist immer ein musikalisches Zeichen dafür, wenn menschliches Leiden sich in himmlische Erlösung wandelt. Der kämpferische Ton des Eingangssatzes klingt in der Baß-Arie wieder auf, einem Satz voller blutvoller Dramatik. In farbig schillernder Harmonik wird ein Bild der höllischen Schlange entworfen: „Höllische Schlange, wird dir nicht bange? Der dir den Kopf als ein Sieger zerknickt, ist nun geboren“, so heißt es im Text. Was für ein Triumph: Das Gute hat das Böse besiegt, die Menschwerdung Gottes ist der Tod der Schlange. Durch den Rhythmus erhält der Satz einen triumphierenden Charakter, der fast an einen Tanz erinnert. Der fünfte Satz, wieder ein Rezitativ, fasst die Folgen dieses Ereignisses für die Menschen zusammen: Die Sünde hat keine Macht mehr über die Adamskinder: Das Gift der Schlange bringt die Menschen nicht mehr in Gefahr, denn: „Der Heiland ist ins Fleisch gekommen  und hat ihr allen Gift benommen“:  Der 6. Satz ist wieder ein Kirchenlied. Nämlich die 2. Strophe des Liedes von Paul Gerhardt: „Schwing dich auf zu deinem Gott“. Daran anschließend folgt die zweite Arie der Kantate, die noch stärke als die erste an den Eingangschor anklingt. An seinen festlichen Charakter. Deutlich hörbar durch die Bläser und die Dreiklangsmelodik. Im Mittelteil dann kunstvolle Ausschmückungen, Koloraturen, des Tenors auf dem Wort „freuen“, aber auch stockende Pausen, wenn die Rede vom „Erschrecken“ ist. Deutliche, musikalische Textinterpretationen: Mit einem schlichten Choralsatz endet die Kantate. Und auch dieser Choral ist wieder ein Kirchenlied: Nämlich die 4. Strophe des Liedes „Freuet euch, ihr Christen alle“ von Christian Keymann, der dieses Lied 1645 geschrieben hat. Bach selbst hat das Werk 1723 in seinem ersten Jahr in Leipzig komponiert. Die Vermutung, dass das Werk für den Stephanustag, den heutigen zweiten Weihnachtstag geschrieben wurde, hat seinen Grund in einer Anspielung im siebten Satz der Kantate. Denn hier wird ein Bild aus dem Evangelium des heutigen Tages gebraucht: „Wie oft wollte ich deine Kinder um dich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt; aber ihr habt nicht gewollt“.

BWV 40 „Darzu ist erschienen der Sohn Gottes“.

Knabenchor Hannover, Leonhard-Consort, Leitung: Gustav Leonhardt

Quelle: Alfred Dürr: Die Kantaten von Johann Sebastian Bach. Bärenreiter 1995.