Schavan: Novellierung des Stammzellgesetzes verantwortbar - Kritik kommt aus dem ZdK

Streit um Stichtag

Auch nach dem Erfolg von Stammzellforschern aus Japan und den USA will Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) an einer Novellierung des Stammzellgesetzes festhalten. Sie halte eine einmalige Verschiebung des Stichtages weiterhin für verantwortbar, sagte sie der "Berliner Zeitung". Von katholischer Seite erntete sie dafür scharfe Kritik. Es gebe keine Garantie, dass es bei einer einmaligen Verschiebung bleibe, argumentiert Peter Liese, CDU Europaabgeordneter und ZdK-Mitglied. "Ich mache mir große Sorgen, sollten wir diesen Weg gehen." sagte Liese im domradio.

 (DR)

Wissenschaftliche Fachzeitschriften hatten am Dienstag berichtet, dass Forscher erstmals eine Art embryonaler Stammzellen durch das Umprogrammieren normaler menschlicher Hautzellen erzeugt haben.

Sollten sich die Ergebnisse bestätigen, könnten embryonale Stammzellen ohne Klonen und die Zerstörung von Embryonen produziert werden. Bislang dürfen deutsche Wissenschaftler nur mit im Ausland gewonnenen Stammzellen arbeiten, die vor dem 1. Januar 2002 hergestellt wurden. Die von vielen Wissenschaftlern als Sensation bewertete Nachricht sorgt für neue Diskussionen um das deutsche Stammzellgesetz.

Schavan zeigte sich zuversichtlich, dass die Wissenschaft Stammzellen aus Embryonen in einigen Jahren nicht mehr brauche. Die neuen Forschungsergebnisse zeigten, dass embryonale Stammzellforschung eine Übergangsforschung sei. Noch vor Jahren habe man eine Reprogrammierung von Zellen, wie es nun in den USA und Japan gelungen sei, für unmöglich gehalten. Sie plädiere jetzt für einen neuen Stichtag im deutschen Gesetz, der aber in der Vergangenheit liegen müsse.

Unzählige Alternativen zur Stammzellforschung
Die momentan geltende Regelung über im Ausland gewonnene Stammzellen sei ohnehin schon ein schwer zu verteidigender Kompromiss, argumentiert dagegen Schavans Parteikollege Peter Liese. Die Position von Schavan könne er daher nicht nachvollziehen. "Wir nutzen embryonale Stammzellen, sagen aber gleichzeitig, wir dürfen sie in Deutschland nicht herstellen. Das heißt wir unterstützen die Herstellung im Ausland." Wenn man den Stichtag weiter verschiebe, sei das ein eindeutiges Signal für die Welt: "Das ist ein Anreiz immer weiter zu gehen."

Schavans Plädoyer für eine Verschiebung des Stichtages habe bei vielen Katholiken und Mitgliedern der CDU Unverständnis ausgelöst, betont Liese.
Bisher habe es mit embryonalen Stammzellen nicht einmal einen Versuch gegeben, Krankheiten zu therapieren, sagt Liese. Deshalb solle man das nicht überbewerten.

"Ich kann nicht verstehen, dass man gerade diese Entdeckung als einen Beleg für die embryonale Stammzellforschung ansieht. Es ist eigentlich ein Beleg dafür, dass die Alternativen besser sind", erklärt Liese.

Deutschland könne ein sehr forschungsfreundliches Land sein, ohne dabei gegen ethische Prinzipien zu verstoßen. "Es gibt hunderttausend andere Forschungsansätze, die wir gut unterstützen können" Der Wissenschaft gegenüber der Menschenwürde den Vorrang zu lassen - damit habe man in Deutschland schließlich genug schreckliche Erfahrungen gemacht.

Bischofskonferenz kritisiert Schavan
Auch die katholische Deutsche Bischofskonferenz kritisierte die Position Schavans und warnte vor einer weiteren Aufweichung des Embryonenschutzes. Die von der Ministerin vorgeschlagene Verschiebung des Stichtags höhle den Schutzgedanken aus, erklärte die Sprecherin Martina Höhns auf Anfrage in Bonn. Die Förderung auch hochrangiger Forschungsinteressen dürfe unter keinen Umständen dazu führen, dass embryonale Menschen verzweckt und getötet werden. Die Förderung alternativer und ethisch unbedenklicher Forschungsmethoden wie die an adulten Stammzellen sei noch längst nicht ausgeschöpft und sollte verstärkt werden.

Auch der Rottenburg-Stuttgarter Bischof Gebhard Fürst sagte der KNA, wer embryonale Stammzellen gewinne, nehme die Tötung "embryonaler Menschen" billigend in Kauf, obwohl es andere viel versprechende Forschungswege gebe. Fürst, der von 2001 bis 2005 Mitglied des Nationalen Ethikrats war und die Unterkommission Bioethik der Deutschen Bischofskonferenz leitet, verwies zugleich darauf, dass die Forschung mit embryonalen Stammzellen noch keine der immer wieder versprochenen Erfolge verzeichnen könne.

Im Gegenteil habe sich gezeigt, dass es eine hohe Gefahr der Tumorbildung gebe. Demgegenüber habe die Forschung mit adulten Stammzellen bereits konkrete Ergebnisse bei der Heilung von Patienten gezeigt. Ein Verzicht auf die Forschung mit embryonalen Stammzellen bedeute auch keine Gefährdung für den Wirtschaftsstandort Deutschland, sagte der Bischof. Vielmehr habe der Verzicht auf diese Forschung dazu geführt, dass Deutschland in der Forschung mit adulten Stammzellen weltweit einen Spitzenplatz eingenommen habe.

Schockenhoff will Denkpause
Der Freiburger katholische Moraltheologe Eberhard Schockenhoff begrüßte den Durchbruch bei der Stammzellforschung. Die Möglichkeit, Hautzellen in eine Art embryonaler Stammzellen zurückzuprogrammieren, zeige, dass das Potenzial der adulten Stammzellen erheblich größer sei, als viele deutsche Forscher bislang angenommen hätten, sagte der katholische Theologe am Mittwoch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Freiburg. Er sprach sich für eine Denkpause bei der Nutzung von importierten embryonalen Stammzellen aus.

Schockenhoff, der Mitglied des Nationalen Ethikrats war, appellierte an die Wissenschaft, sie solle die Strategie aufgeben, durch erhöhten Druck auf die Politik auf eine Verschiebung des Stichtags beim Stammzellenimport hinzuwirken. Auch stehe diese Forderung im Widerspruch zur bisherigen Argumentation, die Reprogrammierung körpereigenen Zellen ließe sich nur mit embryonalen Stammzellen erforschen.

Nach Einschätzung des katholischen Theologen sprechen nicht nur prinzipielle ethische Bedenken, sondern auch naturwissenschaftliche Argumente dafür, stärker auf adulte Stammzellforschung zu setzen. Es sei daher zu begrüßen, dass das Bundesforschungsministerium die Forschung an adulten Stammzelllinien noch stärker mit öffentlichen Geldern unterstützen wolle, um den Forschungsstandort Deutschland in diesem Bereich auszubauen.

Evangelische Kirche: Neuer Stichtag denkbar
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) bezeichnete eine Verschiebung des Stichtags als vertretbar. EKD-Sprecherin Silke Römhild verwies auf eine Erklärung des Ratsvorsitzenden, Bischof Wolfgang Huber, vom November 2006. Darin heißt es, ein Ausgleich zwischen den gegensätzlichen Überzeugungen bliebe gewahrt, wenn der Stichtag neu festgesetzt würde. Dabei müsse es sich um ein zurückliegendes Datum handeln. Aus evangelischer Sicht würden damit zwar grundsätzliche ethische Bedenken gegen den Verbrauch menschlicher Embryonen nicht ausgeräumt. Ein solcher Weg ließe sich aber "respektieren als ein ernsthafter Versuch, einen Ausgleich zu finden und ethische Konflikte zu befrieden".