Warum eine Wehrkirche eine "Selbstbedienungskirche" wird

"Ein ganz neuer Mittelpunkt"

Eine Kirche zum Selbstbedienen hat neuerdings im Siegerland eröffnet. Was genau das bedeutet und warum die Gemeinde diesen Schritt gegangen ist, erklärt der zuständige Pfarrer Jochen Wahl. Er lädt zum Besuch ein.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Wir sprechen über eine alte, denkmalgeschützte Kirche in Würgendorf im Siegerland. Das ist jetzt eine sogenannte "Selbstbedienungskirche". Was heißt das denn?

Jochen Wahl (Pfarrer in der Evangelisch-Reformierten Kirchengemeinde Burbach): Wir haben dort Sitzplätze für maximal 80 Personen. Wir haben dort kein Wasser, wir haben dort keine Toiletten. Strom haben wir allerdings und ein bisschen Heizung. Das heißt also, für gottesdienstliche Handlungen, für Gemeindearbeit war das ein wenig schwierig. Dafür ist die Lage so, dass wir an wunderschönen Wanderwegen und Radwegen liegen.

Es gibt nun eine wunderbare mediale Ausrüstung, die wir dort installiert haben. Das heißt, man kommt in diese Kirche rein, die jetzt täglich aufgeschlossen ist. Man findet dort einen Touchscreen, man kann sich eine Farbe aussuchen, man kann über diesen Touchscreen eine Andacht aussuchen, sehr simpel, sehr einfach gemacht.

Man kann einfach für ein paar Minuten zur Ruhe kommen. Ob man einen Psalm hören möchte oder ein schönes Lied, vielleicht eine Meditation, die dann ein bisschen länger ist. Kindergeschichten sind dabei und das Ganze funktioniert nur über Audio. Wir haben bewusst keine Videos, damit wir dieser schnelllebigen Zeit etwas entgegensetzen können.

Pfarrer Jochen Wahl

"Man kann einfach für ein paar Minuten zur Ruhe kommen"

DOMRADIO.DE: Aber fürs Auge haben Sie die Farben. Da kann man thematisch dann eine Farbkombination eingeben, oder?

Wahl: Genau. Das ist einfach die Frage: Welche Farbe möchte ich haben? Etwas Beruhigendes oder vielleicht ein bisschen was Helleres? Von Mischfarben, die wir da haben oder einfach in rot oder in blau oder Regenbogenfarben. Das passt natürlich dann schön zu verschiedenen Geschichten, die wir aus der Bibel haben und die man dort erleben kann.

DOMRADIO.DE: Also könnte man zum Beispiel blau und gelb eingeben, wenn man für den Frieden beten möchte?

Wahl: Genau. Auf die Friedensandacht kamen wir natürlich auch. Gerade blau-gelb für die Ukraine. Interessanterweise sind blau und gelb auch die Farben unserer politischen Gemeinde, unserer Kommune. Von daher sind wir da mit der Ukraine sehr verbunden. Und das eben nicht nur über die Farben der Fahne, die wir haben, sondern auch inhaltlich.

DOMRADIO.DE: Warum das Ganze? Ist es denn nicht viel wichtiger, nach so vielen digitalen Gottesdiensten im Lockdown jetzt auch wieder zusammen zu sein? Selbst wenn es da kein Wasser gibt und man vielleicht keine größere Gottesdienstfeier dort abhalten kann, gibt es noch eine echte Live-Ansprache von Menschen?

Wahl: In der alten Kirche ist das in der Tat selten. Dort haben wir Passionsandachten, Adventssonntage, Taufen und Hochzeiten. Aber dass dieses Gebäude für Gemeindearbeit nicht richtig funktional ist, wurde von unseren Gemeindegliedern und von meinen Vorgängern schon in den 70er Jahren entdeckt.

Dafür haben wir ein anderes Kirchengebäude in dem gleichen Ortsteil, eine moderne Kirche, die auch sehr gut genutzt werden kann und wo wir natürlich regelmäßig Gottesdienste anbieten. Diese alte Kirche wurde über Jahre gar nicht mehr genutzt. Sie steht unter Denkmalschutz und wurde sehr liebevoll vom Heimatverein aufbereitet.

Sie ist ein bisschen Dorfmittelpunkt und Wahrzeichen des Dorfes. Seit zehn Jahren wird sie wieder genutzt, aber jetzt kann sie nochmal zu einem ganz neuen Mittelpunkt werden, wo Menschen zur Ruhe kommen und zu einer Kirche, wo eben nicht so viele drin sind. Man kann dort auch eine Kirchenführung anhören. Aber wie gesagt, einfach mitten am Tag mitten im Ort zur Ruhe kommen, die Stille genießen, Gott begegnen, ein bisschen Zuspruch bekommen oder so was in der Richtung.

Pfarrer Jochen Wahl

"Jetzt kann sie nochmal zu einem ganz neuen Mittelpunkt werden, wo Menschen zur Ruhe kommen"

DOMRADIO.DE: Wie ist da die Resonanz? Spricht das Angebot auch kirchenferne Menschen an?

Wahl: Ja, definitiv. Das ist die Erfahrung von anderen medialen Kirchen, die wir aus Deutschland kennen, dass dort auch Menschen angesprochen werden, die sonst nicht mehr in die Kirche gehen oder die einfach nur zur Ruhe kommen wollen. Man kann einfach eine meditative Musik auflegen, man kann dort zur Ruhe kommen. Das spricht viele, viele Menschen an, auch gerade die Menschen, die sonst nicht mehr in die Gemeinde kommen.

Dann spielt es keine Rolle, ob man der evangelischen oder katholischen oder gar keiner Kirche angehört. Das ist die Hoffnung, die wir haben, dass das auch bei uns in Zukunft passieren wird.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Kirche zum Selbstbedienen hat eröffnet

Eine Kirche zum Selbstbedienen hat im Siegerland eröffnet. Die 700 Jahre alte evangelische Wehrkirche im Burbacher Ortsteil Würgendorf ist für rund 15.000 Euro technisch aufgerüstet worden, wie die in Hagen erscheinende "Westfalenpost" am Mittwoch online berichtete.

 (DR)
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