Türkei bombardiert Helfer im Kampf gegen den IS

Angst vor einem Kurdenstaat

Für die Türkei steht die Einheit des Staates an erster Stelle, deshalb bombardiert sie kurdische Kämpfer, obwohl die gegen den "Islamischen Staat" (IS) kämpfen. Das erklärt Rudi Löffelsend von der Caritas-Flüchtlingshilfe.

Kurden an der Grenze zur Türkei (dpa)
Kurden an der Grenze zur Türkei / ( dpa )

domradio.de: Wie sind Sie mit den Kurden, diesem Volk ohne Staat, in Berührung gekommen?

Rudi Löffelsend (Vorstandsmitglied Caritas-Flüchtlingshilfe Essen): Die Caritas hat sich schon sehr früh um christliche Flüchtlinge aus Kurdistan, also der autonomen Region im Norden des Iraks, gekümmert. Die sind nämlich relativ zahlreich nach Essen gekommen und haben hier eine Gemeinde gegründet. Über die Beziehungen bin ich dann selbst nach Kurdistan gekommen, um die Situation vor Ort mal kennen zu lernen. Seitdem sind wir regelmäßig da und versuchen zu helfen, wo es eben geht.

domradio.de: Im Norden des Irak gab es auch ein großes Gefecht, im Sindschar-Gebirge. Betroffen waren Tausende Jesiden, die vor dem IS auf der Flucht waren. Die sogenannten Peschmerga stehen seitdem nicht mehr so gut da, denn sie sind auch geflohen und haben die Jesiden im Stich gelassen. Es waren dann kurdische Kämpfer der PKK, die sich eingesetzt haben.

Löffelsend: Die sind von der Türkei aus über Syrien in das Gebirge gekommen, haben sie befreit und über Syrien dann in den Nordirak geführt, damit sie dort in Sicherheit sind.

domradio.de: Wie blicken Sie denn mit dem Hintergrund auf die aktuellen Bombardements der türkischen Armee?

Löffelsend: Als Westeuropäer ist es mir vollkommen unverständlich. Verständlich wird es, wenn man die türkische Mentalität kennt, wo die Einheit des Staates oberste Priorität hat. Alles, was dagegen steht, wird weggesemmelt.

domradio.de: Die Türkei hat Angst, dass die Kurden einen eigenen Staat gründen wollen. Ist diese Angst berechtigt?

Löffelsend: Für die Türken ja, weil die syrischen Kurden im Norden Syriens einen ganz beträchtlichen Teil an Territorium erobert haben und dort schon einen kleinen Staat mit einer eigenen Geschichte gegründet haben. Das macht den Türken panische Angst, dass das von da aus in die Türkei hineinweht. Denn in dieser Region auf der anderen Seite, also im Südosten der Türkei, wohnen mehrheitlich Kurden und die Türkei hat Angst, dass die jetzt auch einen eigenen Staat gründen wollen. Da unternehmen die Türken alles, um das zu verhindern. Die bombardieren ja auch schon innerhalb der Türkei kurdische Stellungen.

domradio.de: Es gibt Wanderbewegungen, beispielsweise nach dem gefecht im Sindschar-Gebirge, nach dem kurdische Kämpfer über die Türkei an die syrische Grenze gewandert wären, wie man hört. Inwiefern sind dann überhaupt noch einzelne Kämpfergruppen voneinander zu unterscheiden? Woher weiß die Türkei, wen sie zu bombardieren hat?

Löffelsend: Sie weiß, wo die Rückzugsgebiete der PKK im Nordirak sind, nämlich ganz nah an der türkischen Grenze. Das tragische ist nur, dass auf der anderen Seite dieses Gebirges relativ viele Flüchtlingslager sind, auch eins, das wir betreuen. Das macht die Sache zur Zeit ein bisschen brisant für uns.

domradio.de: Trotzdem fliegen Sie im August wieder in den Irak. Was ist da Ihr Projekt?

Löffelsend: Wir haben jetzt in diesem Jahr hier die Werbetrommel gerührt, damit Städte, Firmen, Privatpersonen und Kirchengemeinden Geld spenden, damit wir für jesidische Flüchtlinge ein Containerdorf bauen können. Die waren im Sindschar-Gebirge und sind dann rübergekommen. Sie leben noch unter sehr erbärmlichen Umständen, zum Teil in Rohbauten oder in Ruinen. Sie sollen jetzt eine Heimat bekommen.

domradio.de: Sie werden diese Reise auf jeden Fall antreten?

Löffelsend: Wir sind immer in gutem Kontakt zu unseren Freunden im Nordirak, die auch gute Kontakte zu Regierungskreisen haben. Da muss man warten, wie die Sicherheitslage eingeschätzt wird. Bisher mussten wir nicht eine Reise absagen, auch nicht im letzten Jahr, als der IS ziemlich nah an Erbil herangekommen ist.

Das Interview führte Daniel Hauser.


Quelle:
DR