Islamische Theologin spricht über die Proteste im Iran

Abwendung vom "staatlich verordneten Glauben"

Die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi sieht den Iran vor einer religiösen Zeitenwende. "Viele Iranerinnen und Iraner wollen keinen Islam mehr, der von Konformität und Regeln besessen ist", sagte sie in Bezug auf Proteste im Iran.

Nach den Tod der 22-jährigen Mahsa Amini in Haft der Sittenpolizei protestieren Iraner am 27.10.2022 gegen das Regime  / © Uncredited (dpa)
Nach den Tod der 22-jährigen Mahsa Amini in Haft der Sittenpolizei protestieren Iraner am 27.10.2022 gegen das Regime / © Uncredited ( dpa )

"Hier hat das System genau das Gegenteil von dem erreicht, was es wollte", sagte Mohagheghi der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA, Mittwoch). Dort wendeten sich die Menschen von einem staatlich verordneten Glauben ab, "der sich ständig in einzelne Bereiche des Lebens einmischt, die nichts mit dem Glauben zu tun haben". Stattdessen fänden sie neue Wege der Spiritualität. Der spirituelle Islam sei in der Bevölkerung tief verankert, auch in der oppositionellen Jugend, so die Theologin, die an der Universität Paderborn lehrt.

Die islamische Theologin und Religionswissenschaftlerin Hamideh Mohagheghi  / © Christian Thuermann (KNA)
Die islamische Theologin und Religionswissenschaftlerin Hamideh Mohagheghi / © Christian Thuermann ( KNA )

Ander als 2009 oder 2019 hätten sich die Proteste diesmal "ganz konkret am Kopftuchzwang" entzündet, betonte die Theologin. Im Koran sei die weibliche Bedeckung lediglich eine Empfehlung, keine Pflicht. Noch nie hätten so viele Menschen ihre Wut auf das System im ganzen Land auf die Straße getragen. "Besonders Frauen fordern ihre Rechte jetzt mutiger denn je, viele gebildete Iranerinnen und Iraner demonstrieren, aber der Protest kommt auch aus der Breite der Bevölkerung, auch aus den unteren Schichten."

Manipulation und Propaganda

Allerdings habe die Regierung in Teheran weiter auch Rückhalt in der Bevölkerung; nicht nur unter in der Revolutionsgarde, die auch die Wirtschaft kontrolliert, oder den "skrupellosen" Basidsch-Milizen. Millionen Menschen, die unter Armut leiden, gäben sich mit kleinen staatlichen Hilfen zufrieden und ließen ihre Stimme kaufen. "Ihre Armut halten sie für eine Eintrittskarte ins Paradies und hoffen auf die Rückkehr des verborgenen 12. Imams", so Mohagheghi. Das System manipuliere diese Menschen mit simplen Heilsversprechen und antiwestlicher Propaganda.

Auslöser der landesweiten Proteste im Iran war der Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini Mitte September. Sie wurde von der iranischen Sittenpolizei verhaftet, weil sie ihr Kopftuch nicht regelkonform trug, und starb kurz darauf im Gefängnis. Die Polizei sprach von einem Herzinfarkt; in den Sozialen Netzwerken wurde hingegen über Schläge bei Aminis Festnahme berichtet. Daraufhin brachen im ganzen Land Proteste los. Menschenrechtler sprechen inzwischen von mehr als 450 getöteten Demonstranten.

Islam

Im Islam gibt es zwei große Glaubensrichtungen: die Sunniten und die Schiiten. Die Anhänger der Schia (Shiiten) machen nur etwa ein Zehntel der Moslems aus. Im Iran zum Beispiel ist die Schia Staatsreligion. Im Irak und in Aserbaidschan leben ebenfalls sehr viele Schiiten.

Symbolbild Islam / © okanozdemir (shutterstock)
Quelle:
KNA
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