Museum für Holocaust in Mechelen

Täter nicht dämonisieren

An dem Ort, wo während des Zweiten Weltkriegs Tausende Menschen grausam ihr Leben ließen, entsteht ein Museum: in der Kaserne Dossin in Belgien. Hier wird künftig an die Deportationen von Juden und anderen Minderheiten erinnert. Vor allem aber sollen Lehren aus der Geschichte gezogen werden.

Autor/in:
Nina Schmedding
 (DR)

Jeanette Passmann. Felix Nussbaum. Paul Sobol. Drei Namen von beinahe 26.000, die - laut vorgelesen - an das Ohr des Museumsbesuchers dringen. Sie alle waren in der Kaserne Dossin in Mechelen während der deutschen Besatzungszeit in Belgien inhaftiert und wurden von hier aus nach Auschwitz deportiert. Wann genau die deutsche Jüdin Jeanette Passman, geboren in Gelsenkirchen, starb, ist nicht bekannt. Nussbaum, von den Nazis verfolgter deutsch-jüdischer Maler, wurde im Juni 1944 mit dem letzten Deportationszug nach Auschwitz gebracht, wo er am 2. August ermordet wurde. Der belgische Jude Paul Sobol überlebte - als Einziger von seiner Familie.



"Es war uns wichtig, die Namen der Inhaftierten zu nennen", sagt Museumsführerin Betty Swaab. "Die Nazis haben den Menschen damals ihre Identität genommen, das wollten wir aufbrechen". Im Keller der Gedenkstätte hängen die Fotos der Deportierten, aus Lautsprechern klingen ihre Namen. Im Erdgeschoß versuchen Briefe, Spielzeug und letzte Habseligkeiten den Verschleppten ein Gesicht zu geben. Nur etwa fünf Prozent der 25.484 Juden und 352 Sinti und Roma kehrten aus der Deportation zurück. Das Zentrum in Mechelen soll den Hinterbliebenen auch die fehlende Grabstätte ersetzen.



In einem weiteren Raum bildet eine Skulptur des belgischen Künstlers Philippe Aguirre das durch den Holocaust zerstörte Familienleben ab: Mutter, Vater und Kind liegen unter einem Tisch nebeneinander aufgereiht wie in einem Grab. Sie sind mitten aus dem Leben gerissen worden - der Tisch ist gedeckt, als wollten sie sich gleich zum Abendessen niederlassen.



Für jedes Opfer ein Stein

Vor mehr als zehn Jahren beschloss die Regierung die Umgestaltung der Kaserne Dossin, in der Holocaust-Überlebende 1995 das "Jüdische Museum der Deportation und des Widerstandes" eingerichtet hatten. Eine Eckwohnung beherbergte das Museum, das für die jährlich 35.000 Besucher bald zu klein wurde. In den 80er Jahren war der Rest der Kaserne zu Appartements umgebaut worden, unter dem Sammelplatz im Innenhof ist bis heute eine Tiefgarage. Das machte es nötig, für die Erweiterung ein neues Gebäude zu errichten - gegenüber der Gedenkstätte.



Den weißen Monolith hat Architekt Bob van Reeth mit vielen symbolischen Details entworfen: So wurden die Fenster mit fast 26.000 Steinen zugemauert, denn so viele Menschen wurden von dem Sammellager aus deportiert. Das Volumen des Gebäudes entspricht dem der Waggons der 28 Transporte.



Mit diesem Museum werde der Versuch unternommen, "den Holocaust nicht isoliert zu betrachten", sagt Museumskurator Herman van Goethem. "Die Ausstellung integriert aktuelle Menschenrechtsfragen in die Analyse des Holocausts". Das Projekt sei weltweit einzigartig.



Auch andere Völkermorde im Blick

Im ersten Stock ist etwa in der Raummitte die Geschichte des Nationalsozialismus in Deutschland erklärt. An den Wänden ringsum kommen andere Völkermorde zur Sprache: Der Genozid in Ruanda, die Ausrottung der Maya durch die Spanier. Dieses Konzept ist auch im zweiten Stock durchgehalten, der unter dem Thema "Angst" steht: Der Mitte des Raumes ist die zunehmende Judendiskriminierung in Belgien ab Herbst 1940 gewidmet. Rundherum werden wiederum andere Menschenrechtsverletzungen thematisiert: Die Apartheid in Südafrika etwa oder aber die Diskriminierung türkischer oder marokkanischer Gastarbeiter in Belgien.



"Wir dürfen die Täter nicht dämonisieren, sondern müssen uns die Frage stellen, warum sie so handelten", sagt Kurator van Goethem. Dies lasse sich auf aktuelle Menschenrechtsverletzungen übertragen - und man könne daraus für die Zukunft lernen.



Hinweis: Das Museum ist ab Samstag (1. Dezember) täglich von 10.00 bis 17.00 Uhr geöffnet. Mittwochs geschlossen. Eintritt Erwachsene 10 Euro, Senioren 8 Euro, Kinder und Jugendliche 2 Euro.