Bischof Kohlgraf ermutigt zu Veränderungen

"Manchmal lähmen wir das Reich Gottes"

Die katholische Kirche in Deutschland befindet sich in einer Krise. Auch bedingt durch die Missbrauchsskandale steigen die Kirchenaustrittszahlen. Was macht dem Mainzer Bischof Peter Kohlgraf in dieser Situation Mut?

Ingo Brüggenjürgen mit Bischof Peter Kohlgraf / © Bistum Mainz (Bistum Mainz)
Ingo Brüggenjürgen mit Bischof Peter Kohlgraf / © Bistum Mainz ( Bistum Mainz )

Ingo Brüggenjürgen (Chefredakteur DOMRADIO.DE): Ich stehe hier im Kreuzgang vom Mainzer Dom und bei mir ist der Bischof von Mainz, Peter Kohlgraf: Ich radle den Rhein hoch - Sind Sie mit dem Fahrrad auch schon mal von Köln bis Mainz geradelt?

Peter Kohlgraf (Bischof von Mainz): Nein, bestimmte Teilabschnitte, aber ich gebe zu, ich fahre E-Bike, seit ich hier in Rheinhessen lebe. Hier gibt es doch mehr Berge als in Köln.

Brüggenjürgen: Ja, das habe ich gemerkt. Heute im Taunus hätte ich mir auch ein E-Bike gewünscht. Ich bin bei meiner Pilgerreise auf der Suche nach lebendigen Zeugen des Glaubens. Sie sind für viele ein Hoffnungsträger, ein Mutmacher. Spüren sie das selber auch?

Kohlgraf: Immer mal wieder, aber typischerweise – und so geht es glaube ich nicht nur einem Bischof - landen auf meinem Schreibtisch vor allem die negativen Themen.

Aber ich bekomme natürlich auch durchaus sehr viel Positives mit. Vergangenes Wochenende war ich beispielsweise bei einer Firmung und da gab es sehr schöne Rückmeldungen, auch inhaltliche:  Also nicht nur: "Das haben sie gut gemacht!" oder so, sondern die Menschen sind wirklich auf die Predigt und den Gottesdienst eingegangen.

Brüggenjürgen: Wenn man immer weitermachen muss, braucht man selbst auch mal Auszeiten. Wo tankt Peter Kohlgraf auf?

Kohlgraf: Jeder erwartet jetzt natürlich, dass ich etwas Frommes sage. Und das stimmt natürlich auch: Das Gebet ist für mich sehr wichtig und der Gottesdienst auch. Die Begegnung mit den Gemeinden ist für mich sehr wichtig. Aber ich versuche auch, mich jeden Tag regelmäßig zu bewegen und dabei den Kopf frei zu kriegen.

Brüggenjürgen: Das kann das nur bestätigen: Bewegung an frischer Luft und man ist innerhalb von kürzester Zeit ein ganz neuer Mensch. Und in unserer Kirche ist derzeit sehr viel in Bewegung, es gibt eine große Unzufriedenheit. Wie empfinden Sie das? Belastet Sie das?

Kohlgraf: Das belastet mich schon, das kann ich wirklich sagen, aber dennoch ist es nicht so, dass es mich komplett erdrückt. Dafür gibt es einfach für mich auch noch zu viel Positives in unserer Kirche.

Brüggenjürgen: Was sind die positiven Dinge, wo Sie, wenn Sie auf die Kirche schauen, sagen: "Das macht mir wirklich Mut!"?

Kohlgraf: Mir macht natürlich Mut, auch da erst Mal ein frommer Akzent, dass ich das sage: Ich glaube immer noch an die Präsenz Gottes und an sein Wort, dass er bei uns bleibt. Das ist für mich die Motivation, zu arbeiten. Und wenn das nicht so wäre, dann könnte man den Laden sowieso dicht machen.

Davon abgesehen begegne ich so vielen Menschen, die engagiert sind, die mitmachen, auch bei den schwierigen Themen unserer pastoralen Prozesse und der Veränderungen. Natürlich haben Leute auch Sorgen und stellen Fragen und haben Kritik. Aber insgesamt nehme ich wahr, dass ganz, ganz viele mitdenken, mitreden und mitmachen.

Brüggenjürgen: Wenn Sie eine einzige Sache richtig bewegen könnten, damit es mit unserer Kirche und dem Reich Gottes wieder aufwärts geht: Was würden Sie machen?

Kohlgraf: Ich würde sagen: "Leute, nehmt das Reich Gottes in den Blick und haltet euch nicht zu sehr mit kirchlichen Traditionen und Strukturen auf, sondern gebt ihm Raum. Gebt dem Reich Gottes auch eine Chance." Das will ich nicht gegen die Kirche ausspielen. Aber ich glaube, wir lähmen manchmal auch das Reich Gottes, indem wir versuchen, es in Mauern einzuschließen. Und das funktioniert nicht.

Brüggenjürgen: Unsere Kirche ist eine Kirche des Exodus‘, des Aufbruchs: Ich muss morgen weiter Richtung Speyer. Was geben Sie mir mit auf den Weg?

Kohlgraf: Ich wünsche Ihnen gutes Wetter und viel Geduld. Wenn man Sport macht - das kenne ich auch - gibt es immer wieder einen Punkt, wo man nicht mehr kann. Aber dann weiterzumachen und den Mut nicht zu verlieren: Das ist auch ein Zeichen für viele Menschen. Das sind wir so gewohnt als Christen, dass wir immer aufstehen.

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Quelle:
DR