Missio ordnet die Angriffe auf Christen im Niger ein

Kann man von "Glaubenskrieg" sprechen?

Dschihadisten greifen im Niger christliche Dörfer an, verbrennen liturgische Gegenstände und töten Christen: Das klingt nach einem Glaubenskrieg. Diese Annahme greift aber zu kurz, findet Johannes Seibel. Nicht nur die Religion spielt eine Rolle.

Dramatische Sicherheitslage in Nigeria / © Ibrahim Mansur (dpa)
Dramatische Sicherheitslage in Nigeria / © Ibrahim Mansur ( dpa )

DOMRADIO.DE: Warum ist das zu kurz gedacht, wenn man jetzt als erstes an religiöse Verfolgung denkt?

Johannes Seibel (Pressesprecher von Missio): Zunächst einmal ist das für die betroffenen Christinnen und Christen ein dramatisches und traumatisches Erlebnis. Es gibt Bedrängnis, es gibt Verfolgung von Christen. Nur: Die Ursachen sind nicht rein religiös oder Folge einer Art von Glaubenskrieg, sondern die Ursachen dafür sind sehr vermischt.

Im Niger zum Beispiel, in Westafrika, bilden sich dschihadistische Gruppen. Gleichzeitig ist die Region Flüchtlingsroute. Gleichzeitig entwickelt sich auch in der Verquickung von Terrorismus und kriminellen Banden eine Entführungsindustrie. Und dann kommt noch die politische Komponente hinzu, dass dort verschiedene prekäre Staaten und staatliche Stellen gegen die Dschihadisten kämpfen, zum Teil mit ihnen kooperieren und jeder seinen Vorteil aus der unsicheren Lage ziehen will.

Deshalb glaube ich, ist es zu kurz gedacht, hier von einem Glaubenskrieg zu sprechen. Sondern man muss genau hinschauen und überlegen, welche Ursachen es sind und wie man sich dazu verhält, um allen Menschen, die davon betroffen sind und nicht allein den Christen helfen zu können.

DOMRADIO.DE: Wie schwierig ist es, dahinter zu kommen, was wirklich dahinter steckt?

Seibel: Schwierig ist es deshalb, weil wir hier im Westen natürlich bei solchen Meldungen sofort ein klares Bild vor Augen haben: Da gibt es Terroristen, da gibt es Christen. Die Terroristen nehmen für sich in Anspruch, im Namen des Islams zu handeln. Also muss es sich um einen Glaubenskrieg handeln. Das ist aus der Brille eines Menschen, der hier im Westen lebt, natürlich auch plausibel.

Aber die Sache ist komplexer. Und das ist die Schwierigkeit, weil unterschiedliche Motive hier ineinander spielen. Auch für uns selbst und für unsere Partner ist es oft schwierig zu erkennen, welche Gruppen eigentlich welche Interessen vertreten. Das ist oft sehr komplex und an diesem Beispiel im Niger kann man sehen: Die dschihadistischen Gruppen wissen, wenn sie Christen angreifen und wenn sie das sehr "publikumswirksam" machen, dann sind sie sicher, dass darauf eine internationale Reaktion erfolgt. Das wollen sie auslösen. Und das wiederum bringt für die Propaganda der Dschihadisten Erfolge.

Das heißt, es ist für die Dschihadisten gar nicht entscheidend, dass das jetzt Kirchen sind, dass das jetzt Christen sind und wie sie das anstellen, sondern der propagandistische Erfolg ist entscheidend. Das bedeutet für uns zum Beispiel, hier wieder zu sagen: Wir versuchen, das aufzuklären und wir versuchen, den Christinnen und Christen vor Ort - im Niger, in Nigeria, an anderen Orten zu helfen, so gut agieren zu können, dass sie diese Propaganda durchkreuzen, dass sie durch interreligiöse Projekte versuchen, die Vernünftigen in allen Religionen zusammen zu bekommen, damit sie sich gegen die Dschihadisten, gegen den Missbrauch der Religion wenden.

Wir unterstützen auch Projekte, die zum Beispiel diesen interreligiösen Dialog vor Ort betreiben, und zwar nicht als eine akademische Angelegenheit, sondern um sich im Alltag mit den Angehörigen aller Religionen zusammen gegen den Missbrauch ihrer Religion zu wehren.

DOMRADIO.DE: Gibt es denn Beispiele dafür, dass das religiöse Miteinander in diesen Regionen auch gut klappen kann?

Seibel: Selbstverständlich gibt es diese Beispiele. Gerade Westafrika ist ja zurzeit sehr bedroht. Es gibt diese dschihadistischen Gruppen, die speisen sich aus früheren Kämpfern aus dem Irak oder Libyen. Sehr viele Waffen fließen in diese Regionen. Deshalb sie die auch so stark. Aber in Burkina Faso zum Beispiel ist das Zusammenleben von Christen und Muslimen traditionell sehr gut gewesen. Und auf der Grundlage dieser Tradition gibt es sehr viele interreligiöse Dialoginitiativen, die auf diese Tradition zurückgreifen können. Oder wenn wir das Beispiel Nigeria nehmen, der Terror von Boko Haram.

Gerade im Norden des Landes gibt es zum Beispiel das "Women in the Faith Council". Dort haben sich christliche und muslimische Frauen zusammengeschlossen, weil sie sagen: Wir wollen verhindern, dass unsere Kinder weiter gegeneinander aufgehetzt werden, dass es zu Krieg, zu Gewalt, zu Terror kommt. Da müssen wir zusammenhalten. Das sind ganz beeindruckende Frauen. Da gibt es Christinnen, die sind direkt von Boko Haram angegriffen worden, die haben Kinder verloren. Die gehen trotzdem in diese Initiative und sagen: Nein, ich spreche weiter mit muslimischen Müttern und wir überlegen uns zusammen: Was können wir tun, damit diese Instrumentalisierung von Religion aufhört?

Sie gehen in die Dörfer, sprechen mit den Dorfältesten. Sie wenden sich auch gegen korrupte Politiker. Sie mahnen auch an, dass die Polizei genau hinsieht. Also das sind wirklich sehr mutige Frauen und das ist ein Beispiel, wie das vor Ort geschieht.

Übrigens kommen diese Frauen und auch die Kirche aus Nigeria im Oktober zum Weltmissionssonntag nach Deutschland und berichten über diese Arbeit.

DOMRADIO.DE: Missio fördert auch in Westafrika Projekte, die so ein friedliches Miteinander möglich machen. Sind die Erfahrungen da durchweg positiv oder wo sind noch die größten Hürden?

Seibel: Ich sage, die Erfahrungen sind positiv und es gibt da drei Aspekte zu beachten. Es funktioniert dann, wenn muslimische und christliche Autoritäten zusammenarbeiten. Beispielsweise auch wieder Nigeria: In Jos, das ist im mittleren Teil Nigerias, gibt es den Emir von Wase. Das ist der höchste muslimische Würdenträger. Und bis vor kurzem war da Erzbischof Ignatius Kaigama der katholische Erzbischof und beide sind Freunde und vertreten gegenüber der Politik, gegenüber dem Bundesstaat die Interessen der Religionen.

Sie versuchen zu verhindern, dass dort die Religionen gegeneinander ausgespielt werden. Gleichzeitig gibt es in Jos Initiativen, ähnlich wie dieses "Women in the Face Council", wo im Alltag Christen und Muslime zusammenarbeiten, um zum Beispiel schon im Vorfeld Konflikte zu erkennen, die es geben könnte, um dann zu deeskalieren.

Also wenn diese offizielle Arbeit, die politische Lobby und die Basisarbeit gut zusammenwirken, dann ist das schon sehr erfolgversprechend. Dafür ist Nigeria ein Beispiel. Schwierig wird es dann dort, wo übergeordnete Interessen ins Spiel kommen. Denken wir an den Nahen Osten. Dort herrscht ein Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien, dem sunnitischen Islam und dem Iran, dem schiitischen Islam. Es gibt geopolitische und strategische Interessen der USA, der Türkei, Russlands. Es gibt dort auch dschihadistische Gruppen.

Und in diesem großen, ganz komplizierten Geflecht, werden dann Christen zerrieben. Das ist dann doch schwieriger mit dem interreligiösen Dialog. Und je mehr Interessen zusammenkommen, je mehr politische Interessen zusammenkommen, desto schwieriger wird es.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Johannes Seibel, missio-Pressesprecher / © privat
Johannes Seibel, missio-Pressesprecher / © privat
Quelle:
DR
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