Erzbischof Joachim Kardinal Meisner zum Thema Missbrauch

Im Wortlaut

 (DR)

Liebe Schwestern und Brüder!

In diesen Wochen müssen wir mit Entsetzen zur Kenntnis nehmen, dass
es auch in kirchlichen Einrichtungen zu schlimmsten Verfehlungen sexuellen
Missbrauchs gekommen ist. Immer deutlicher wird, welches Leid und Unglück
manche Priester und kirchlichen Mitarbeiter durch ihr Versagen über junge
Menschen gebracht haben. Dadurch geht nun unsere ganze Kirche - und das
sind wir alle - durch ein finsteres Tal. Viele nehmen Ärgernis an unserer Kirche, weil sie sich in dem Vertrauen, das sie uns zu Recht entgegengebracht haben, enttäuscht sehen.

Ich kann nicht verhehlen, dass ich über das Versagen von manchen Priestern und kirchlichen Mitarbeitern nicht nur zutiefst erschüttert, sondern auch zornig bin. Sexueller Missbrauch ist ein verabscheuungswürdiges Vergehen; besonders schlimm aber ist es, wenn ein Priester der Täter ist. Zwangsläufig beschädigt er damit zugleich das Vertrauen, das der Kirche als Ganzer entgegengebracht wird, und er beschädigt auch das Ansehen aller Priester, Ordensleute und kirchlichen Mitarbeiter, die oft in aufopferungsvoller Weise tagtäglich ihren Dienst zum Heil der Menschen tun. Nicht zuletzt haben die schuldig gewordenen Priester Sinn und Zeichenhaftigkeit ihres zölibatären Lebens bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

Die gegenwärtige Situation ist allein mit Ehrlichkeit, Offenheit und dem
Willen zur Umkehr zu bestehen. Unsere erste Sorge muss sein, dass den Opfern Gerechtigkeit widerfährt und sie helfenden Beistand erfahren. Jedem einzelnen Verdacht, der uns bekannt wird, gehen wir mit aller Sorgfalt und Konsequenz nach. Darüber hinaus ist unser aller Wachsamkeit gefordert, damit wir alles tun, dass solche Vergehen zukünftig verhindert werden können. Dies setzt auch ein fundiertes Wissen voraus: Wie verhalte ich mich, wenn Kinder von Missbrauch erzählen? Wie gehen Täter vor? Wie können wir Kinder und Jugendliche dagegen stark machen? Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass auch viele unter Ihnen wegen der Geschehnisse trost- und ratlos sind. Mit den Informationen, Hinweisen und Dokumenten auf den folgenden Seiten möchte ich Ihnen deshalb eine erste Hilfe an die Hand geben.

Für unser Erzbistum hatten wir bereits zum Jahreswechsel im Geistlichen
Rat festgelegt, dass das Thema Sexueller Missbrauch fester Bestandteil der Aus- und Weiterbildung unserer pastoralen Mitarbeiter ist. Alle Priester, Diakone, Pastoral- und Gemeindereferenten nehmen verpflichtend an Informationsveranstaltungen zu diesem Thema teil, die von erfahrenen Fachleuten durchgeführt werden. Zudem wird als Erstansprechpartnerin für Missbrauchsopfer zusätzlich eine fachlich versierte Frau benannt, um Hilfesuchenden die Wahl des Erstkontakts zu ermöglichen. An dieser Stelle möchte ich auch Prälat Prof. Dr. Norbert Trippen für seine Dienste in dieser Funktion herzlich danken.

Am bedeutsamsten aber ist unsere gemeinsame Hinwendung zum Herrn im Gebet. Damit verharmlosen wir nichts und schieben nichts ab von unserer Verantwortung, sondern suchen die Nähe dessen, der allein das Gelingen zu unserem Bemühen geben kann. Bei ihm muss all unser Tun beginnen, wenn es wirklich zum Heile gereichen soll. Als Ihr Bischof bitte ich Sie deshalb herzlich um Ihr Gebet. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Herr keine Bitte, die von Herzen kommt, überhört. Ich bitte Sie deshalb, für die Opfer zu beten, dass sie Zuspruch finden und Menschen, die sie begleiten und die ihnen helfen, das erfahrene Leid zu verarbeiten. Beten wir auch für alle, die jetzt Ärgernis an der Kirche nehmen und sich enttäuscht von ihr abwenden. Weiterhin wollen wir auch für die Täter beten, dass sie sich ihrer Verantwortung stellen, ihre Schuld bekennen und umkehren. Beten wir schließlich auch um Mut und Zuversicht für unser eigenes
Glaubenszeugnis in dieser schwieriger gewordenen Situation der Kirche.

Liebe Schwestern und Brüder, als Menschen tragen wir die Freundschaft
Gottes "in irdenen Gefäßen", wie der Apostel Paulus sagt (2 Kor 4,7) und sind daher immer in Gefahr, dass dieses Geschenk wegen unserer Unzulänglichkeit buchstäblich zerbricht. Dieser Zerbrechlichkeit und Begrenztheit müssen und dürfen wir uns stellen in dem glaubenden Bewusstsein, dass es nicht unsere menschlichen Verdienste sind, sondern Gottes Stärke, die uns durch die Zeiten trägt. Er gebe uns die Kraft, seine glaubwürdigen Zeugen zu sein.

Ihr
Joachim Kardinal Meisner,
Erzbischof von Köln