Appelle zum Welttag gegen Armut

"Ungerechtes Gießkannenprinzip"

Zum Internationalen Tag zur Beseitigung der Armut appellieren Verbände an die deutsche Politik, mehr gegen steigende Energiepreise zu tun. Theologin Margot Käßmann wirft der Bundesregierung ein nicht gerechtes Gießkannenprinzip vor.

Autor/in:
Leticia Witte
Gaszähler / © Bernd Weißbrod (dpa)
Gaszähler / © Bernd Weißbrod ( dpa )

Im Fokus stehen auch Familien und Kinder. An mehreren Orten demonstrierten am Wochenende viele Menschen gegen die Sozialpolitik der Bundesregierung in der Energiekrise. Zugleich wurden Warnungen vor einer bedrohlichen Entwicklung bei diesen Protesten laut.

Preissteigerungen und die Folgen der Corona-Pandemie setzen Familien und Kinder nach Worten des Sozialverbands Deutschland (SoVD) unter Druck. Die SoVD Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier forderte am Sonntag mehr Engagement der Politik. "Schon vor Corona haben rund 20 Prozent der Kinder in Deutschland in Armut gelebt oder waren von Armut bedroht." Die Kindergrundsicherung habe eine Schlüsselrolle. Hinzu müssten ein "niedrigschwelliger Leistungszugang", eine gesicherte soziale Infrastruktur und psychosoziale Unterstützung bei der Bewältigung von Langzeitfolgen der Pandemie kommen.

Kritik an möglichen Profiteuren der Krise 

Der Sozialverband VdK wies darauf hin, dass mittlerweile auch finanziell Bessergestellte Angst hätten, etwa angesichts hoher Abschläge der Energieversorger in Armut abzurutschen. "Auf der anderen Seite sehen wir, dass große Konzerne und Superreiche nicht nur unbeeindruckt aus der Krise hervorgehen, sondern sogar davon profitieren", kritisierte VdK-Präsidentin Verena Bentele. Sie forderte unter anderen eine Vermögensabgabe, eine Übergewinnsteuer sowie verlässliche und bezahlbare Preise und Härtefallfonds.

Margot Käßmann 2021 in Hannover / © Julian Stratenschulte (dpa)
Margot Käßmann 2021 in Hannover / © Julian Stratenschulte ( dpa )

Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, wirft der Bundesregierung ein "ungerechtes Gießkannenprinzip" vor. "Da wird viel Geld an Leute herausgepustet, die gar keine Hilfe brauchen", schreibt Käßmann in der "Bild am Sonntag". Sie forderte Wohlhabende auf, an Bedürftige zu spenden.

Rechtsextremismus auf dem Vormarsch? 

Bei Protesten gegen steigende Energiepreise sieht der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent eine bedrohliche Entwicklung. Eingebunden seien auch rechtsextreme Netzwerke und Organisationen, sagte Quent am Samstag im Deutschlandfunk. Wortbeiträge drehten sich häufig nicht in erster Linie um die Energiekrise. Stattdessen werde gegen Migration gehetzt, gegen Maskenpflicht und Corona-Maßnahmen argumentiert und eine Versöhnung mit Russland gefordert. Außerdem würden rechte Symbole gezeigt. "Insofern haben wir es hier eher mit National- als mit Sozialprotesten zu tun." Es deute sich eine "Formierung einer faschistischen Bewegung auf der Straße" an.

Die Demonstrationen hätten ein großes Ausmaß erreicht, denn teilweise seien in ganz Ostdeutschland rund 100.000 Menschen auf die Straße gegangen, sagte Quent. Diese hätten auch Zulauf von Gruppen außerhalb des rechten Spektrums. "Hier verschmelzen die Grenzen in die Mitte." Quent betonte, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland der Meinung sei, dass es im Land nicht gerecht zugehe. Aber: "Das sind mitnichten alles Rechte oder Rechtsextreme".

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnte in der "Bild am Sonntag": "Angst und Unsicherheit sind der Treibstoff für Extremisten. Und vor diesem Winter sind die Menschen verunsichert wie seit Langem nicht." Die demokratischen Parteien müssten "eine klare Haltung zeigen, weniger streiten und den Bürgern Mut machen". 

Sorge wegen steigender Preise wächst

Immer mehr Menschen in Deutschland bekommen die anhaltend hohen Preise im Alltag zu spüren. Im am Freitag veröffentlichten ZDF-"Politbarometer" gaben 40 Prozent der Befragten an, dass ihnen die Inflation persönlich große Probleme bereitet, Anfang April war das erst bei 34 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fall gewesen.

Steigende Lebensmittelpreise / © Denys Kurbatov (shutterstock)
Steigende Lebensmittelpreise / © Denys Kurbatov ( shutterstock )
Quelle:
KNA